Eine Kindheit im Krieg in Kreisau
Schloss und Gutshof in Kreisau gehörte bis 1945 der bekannten Familie von Moltke. Caspar von Moltke hat einen Teil seiner Kindheit dort verbracht. Er spricht mit den Bösen Wölfen über seine Kindheitserinnerungen, über die geheimen Treffen der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis, über seinen von den Nazis hingerichteten Vater Helmuth James Graf von Moltke, sowie über seinen Bezug zu Kreisau heute.
Kindheit in Kreisau bis 1945
Sie haben Ihre Kindheit in Kreisau verbracht. Wie war das Leben damals?
Es war friedlich, Kreisau ist ein ländliches Gut und wir hatten eine rege Landwirtschaft, mit Arbeitern und Geräten und Kühen und Tieren und verschiedenen Pflanzungen. Wir haben Zuckerrüben angebaut, wir haben Weizen angebaut, und solche Sachen immer dort produziert.
Erinnern Sie sich an ihren Vater?
Ja, ich habe einige Erinnerungen, aber im Grunde relativ wenig, weil er 1939 mit Ausbruch des Krieges in Berlin dienstverpflichtet wurde und nur gelegentlich nach Kreisau kam, kommen konnte. Und ich habe ihn zuletzt gesehen, als ich 5 Jahre alt war, also recht jung.
Haben Sie als Kind etwas von den Widerstandsplänen mitbekommen?
Nein, gar nichts. Ich war in dem Haus, als die Männer und Frauen des Kreisauer Kreises dort getagt haben. Was diese Menschen taten, war mir völlig unbewusst. Ich habe oben gespielt, aber auch mit denen mittaggegessen, und da wurde nicht über Politik gesprochen.
Gab es eine gewisse Anspannung zu Hause?
Nein, meine Eltern hatten die Treffen organisiert als gesellschaftliche Zusammenkünfte. Lediglich in den Diskussionen wurde es dann ernst. Aber diese haben in einem geschlossenen Raum stattgefunden.
Nach dem Tod des Vaters 1945
Wie haben Sie den Tod Ihres Vaters erlebt?
Den Tod habe ich erlebt, als meine Mutter endlich in Januar 1945 aus Berlin zurückkam und uns mitteilte, dass mein Vater gestorben war. Das war natürlich traurig und wir haben natürlich alle zusammen geweint, aber ich war noch so jung, dass ich schon nach ein paar wenigen Tagen sozusagen zum normalen Leben übergegangen bin. Ich war gerade 7 Jahre alt geworden.
Hat sich viel nach dem Tod Ihres Vaters geändert?
Nein. Als mein Vater hingerichtet wurde, war Breslau, die uns am nächsten gelegene Stadt schon von der Roten Armee eingekesselt. Die Menschen konnten nicht mehr heraus und es wurde dort von der Roten Armee gegen die deutschen Truppen geschossen. Es war Winter und ich erinnere mich, wie wir aus der Ferne sehen konnten, wie diese Leuchtkugeln über Breslau niedergingen. Also, wo es stattfand. Aber hören konnten wir vom Krieg nichts.
Haben Sie damals schon verstanden, warum er gestorben ist?
Nein. Ich dachte schon, dass mein Vater nicht etwas Böses gemacht hatte, und dass sie ihn entlassen sollten aus dem Gefängnis. Er war ein ganzes Jahr eingesperrt, bevor er starb.
Können Sie uns sagen, was Sie am meisten geprägt hat in Ihrer Kindheit?
Ich glaube, dass ich erstaunlicherweise den ganzen Krieg im Grunde friedlich in Kreisau gelebt habe. Dieser scheußliche Krieg, der über Deutschland gerollt ist, trat für mich nicht in Erscheinung. In einer gewissen Form war er sogar positiv, weil viele Familien ihre Kinder aus Berlin auslagern wollten. Und da wir in unserem Schloss Platz hatten, haben wir sehr viele Familien aufgenommen. Und das hat natürlich meinen Spielkameradenkreis unendlich vergrößert und so erinnere ich mich an die Kinderjahre, auch die Kriegskinderjahre, als schöne Jahre einer guten Kindheit.
Hätten Sie lieber gehabt, Ihr Vater wäre wie andere Väter gewesen?
Ja, im Nachhinein ist das schwer zu beantworten. Es ist so, dass die Jahre des Krieges das Leben von vielen Vätern gekostet hat. Die meisten jüngeren Männer mussten in die Armee und sind millionenhaft als Soldaten in die europäischen Länder gegangen. So war das Risiko, der Vater stirbt im Krieg, sehr groß. Für alle junge Menschen. Wir hatten im Dorf eine ganze Anzahl von Familien, die auch ihren Vater verloren hatten. Zwar nicht so wie mein Vater, als Ergebnis eines Prozesses vor dem Volksgerichtshof, aber immerhin, sie waren auch tot.
Nach dem Krieg
Wie hat sich das Kriegsende auf Ihr Leben ausgewirkt?
Am Ende des Krieges standen wir ziemlich mittellos da. Das Gut war weg und mein Vater war tot, und meine Mutter und mein Bruder und ich haben Schlesien im Herbst 1945 verlassen, denn Schlesien wurde im Sommer 1945 Polen zugesprochen. Aber wir hatten im Westen Freunde und die Eltern meiner Großmutter, die in Afrika lebten oder gelebt hatten.
Hat die Tätigkeit Ihres Vaters Ihre Kindheit oder Jugend beeinflusst? Haben manche Eltern ihren Kindern gesagt, sie sollen nicht mit Ihnen spielen?
Weihnachten 45 waren wir erst in der Schweiz und dann sind wir nach Südafrika gegangen. Und damals war es ungewöhnlich, dass Deutsche aus Deutschland herauskamen. mir sind manchmal – vor allem – junge Menschen – begegnet, deren Väter natürlich gegen Deutschland gekämpft hatten. Sie haben hinter mir her gerufen, „Nazi“ und so was und da hat mir schon mein Vater geholfen, weil ich wusste ganz genau, dass es nicht stimmte. Und deswegen habe ich einfach gelacht.
Hat Ihre Mutter viel von Ihrem Vater erzählt?
Ja, sie hat immer wieder von ihm erzählt, vorgelesen, sein Andenken bei uns wachgehalten. Das war eine Konstante in unserem Leben, auch während seiner Haftzeit, aber dann noch über viele, viele Jahre danach. So ist mir die Tätigkeit meines Vaters sehr bewusst geworden und ich habe gelesen, was sie getan haben. Ich habe die Papiere gelesen, auch die Korrespondenzen gelesen, und für mich ist es ein sehr wichtiges Erlebnis im Leben gewesen.
Ihr Vater hat viele Briefe geschrieben?
Ich habe die Korrespondenz meines Vaters in Etappen kennengelernt. Als Erstes habe ich von meiner Mutter die Briefe bekommen, die an mich und meinen Bruder adressiert waren. Während der Haft hat er drei Briefe an uns geschrieben. Ein ganz langer Brief handelt von seiner Jugend in Schlesien, wie es damals war, auf einem Gut aufzuwachsen, und wie sie gelebt haben. Es ist an sich ein sehr netter Brief. Den hatte er im Januar 1944 geschrieben. Und dann hat er zwei Abschiedsbriefe an meinen Bruder und mich geschickt, die herausgeschmuggelt worden sind aus dem Gefängnis in Tegel. Und die hatte er im Oktober 1944 geschrieben. Meine Mutter hat sie uns, als wir Teenager waren, gegeben. Und dann habe ich später viele Briefe gesehen, die mein Vater an sie geschrieben hat. Die alle heutzutage veröffentlich worden sind und zugänglich sind.
Kann man also sagen, dass er durch die Briefe noch ein bisschen bei euch war?
Ja, und das ist der große Unterschied zwischen uns und anderen Widerstandsfamilien, dass wir diesen riesigen Schatz an Briefen haben. Sowohl als Dokumente für die Historiker, damit sie sehen, was mein Vater dachte und was die verschiedenen Leute taten, wie Tat X im Jahre 42, oder 43… Und auch, wie meine Eltern sich haben trennen können, als es sichtbar wurde, dass es für sie schlecht ausgehen würde.
Kreisau heute
Halten Sie sich auf dem Laufenden, was jetzt in Kreisau passiert?
Ja, das tue ich. Kreisau ist ja ein sehr lebendiger Ort. Dass da viele junge Leute hinkommen und dass viele Jugendliche sich mit anderen Schulen aus anderen Nationen sich dort treffen, das ist im Grunde eine positive Sache. Heutzutage können etwa 150 Personen auf einmal dort untergebracht werden und im Jahr kommen ungefähr 5000 Jugendliche hin. Auch viele aus Deutschland, ich würde sagen 40 Prozent.
In welcher Weise ist die Arbeit Ihres Vaters heute noch wichtig?
Ich glaube, es ist noch wichtig, dass wir auf der Basis der Aktivitäten meines Vaters und seiner Freunde eine bessere Möglichkeit haben, mit den Ländern, die früher unsere Feinde waren, zusammen zu leben und sie zu Freunden zu machen. Das haben wir gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch unter Konrad Adenauer sehr bewusst mit Frankreich begonnen. Die deutsch-französische Freundschaft hat Adenauer für sehr wichtig erachtet, und die ist auch auf bestem Wege seit 60 Jahren. Und im Falle von Polen hat das erst nach der Wende begonnen, es ist also 25 Jahre her, aber auch das Verhältnis mit jungen Polen hat sich über die Jahre sehr positiv entwickelt. Und das ist zum Teil eine Aufgabe, die wir uns zum Ziel gesetzt haben.
Welche Bedeutung hat Kreisau für Sie?
Bis zur Wende war mir Polen mehr oder weniger unzugänglich. Und die Wende und die Tatsache, dass Kreisau eine neue Rolle spielt, hat eine ganz neue Dimension in mein Leben gebracht, und eine schöne Dimension, die für mich bereichernd ist. Und das ist seit 1989 neu hinzugekommen.
Dann bedanken wir uns. Es war sehr interessant und sehr spannend.
Hier die gesamte Version des Interviews von Caspar von Moltke in pdf:
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